Elorie und die Blume

  1. Elorie und die Blume

Dieses Buch erzählt vom Wettstreit zweier Ikonen ihrer jeweiligen Zünfte: Der zwergische Erfinder Ragnor Rotschild fordert die halbelfische Magierin Elorie Vile heraus. Die mündliche Überlieferung dieser Geschichte wurde von Azura Debonaire niedergeschrieben.

Elorie und die Blume

Ragnor Rotschild war ein Zwerg von außerordentlichem Geschick. Vielen seines Volkes sagte man Stärke, aber auch rohe Gewalt und mehr Begeisterung für grobe, als für feine Arbeiten nach. Die Waffen seiner Schmiede jedoch schmückten Ziselierungen, die mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen waren; selbst schwere Äxte und Streitkolben lagen wie Dolche in der Hand und hatten doch den Ruf, schwerste Rüstungen zu durchschlagen.

Doch fertigte Meister Rotschild nur Waffen, um seine Ausgaben zu decken – sein Metier war die Forschung. Er träumte davon, Maschinen zu bauen, die seinem Volk die Arbeiten abnehmen sollten. Der Bergbau war ein schweres, gefährliches Geschäft, und so hätte ihn dieser Durchbruch mit einem Schlage zu einem reichen und berühmten Mann gemacht.

Neben seiner Tätigkeit als Schmied und Erfinder verstand er sich darauf, Konstruktionen jeglicher Art zu errichten, braute ausgezeichnetes Bier und hatte in der Bildhauerei einen Rang erreicht, der ihm Kundschaft aus Nah und Fern bescherte.

Eben dieser Mann hatte seinen langjährigen Freund, den Priester Argur Weißauge gebeten, ihm Elorie Vile vorzustellen. Denn Meister Rotschild hielt nichts von der Magie, seine Konstruktionen und Apparate waren jedem Magier überlegen.

Elorie nahm die Einladung in Ragnors Labor an. Schon vorher hatte sich abgezeichnet, dass dieses Zusammentreffer zweier bekannter Gestalter, von denen der eine ebenso geachtet und berühmt war wie die andere mysteriös und sagenumwoben, zu einem Wettstreit ausarten könnte. Zugegen waren außerdem Argur und seine Akolyten, die dem Zusammentreffen zwischen materiellen und arkanen Mächten mit Spannung entgegensahen. Auf dem Tisch stand eine glänzende Kiste aus poliertem Mithril, welche der Erfinder eigens für diesen Tag angefertigt hatte. Sie mochte wohl zwei Ellen in der Breite, eine in der Länge und eine in der Höhe messen, zwergische Runen waren auf dem Deckel eingraviert.

Ragnor Rotschild hatte sich auf ihren Besuch vorbereitet. Er trug seine besten Kleider, mit jovialer Miene hieß er die Frau willkommen. Sie nickte ihm höflich zu, blieb aber stumm. Ihm war anzusehen, dass er seine Neugier ohnehin nicht lange im Zaume würde halten können. Und schon begann das Spiel.

„Man sagt, eure Macht reiche sogar an die der Götter heran.“ Ein spöttischer Unterton lag in seiner Stimme. „Wenn ihr so große Dinge vollbringen könnt, so könnt ihr mir sicher sagen, was in der Kiste liegt.“

„So ist es.“ Es schien ihr zu gefallen, ihn auf die Folter zu spannen. Sie besaß die Fähigkeit, nur mit den Lippen zu lächeln, während die Augen unergründlich blieben. Auch ihr Alter war kaum zu bestimmen; während die grauen Strähnen in Meister Rotschilds Bart ihm eine gewisse Ehrwürdigkeit verliehen, verriet das weiche Gesicht der Magierin nur, dass sie irgendwo zwischen Mädchenalter und Greisentum stand. Nur die rote Robe verlieh, dass sie keine gewöhnliche Bürgerliche war.

„So sprecht schon, was ist es?“ Meister Rotschild zwirbelte seinen Bart. Er hasste die Elfen für ihre hochnäsige Ruhe, die sie so offen zur Schau trugen und sich verhielten, als bestünde die übrige Welt nur aus ungeduldigen, unwissenden Kindern. Auch wenn diese nur eine Halbelfe war, verhielt sie sich ganz und gar wie das ältere Volk. Konnte diese Frau nicht einfach sprechen? „Sorgt euch nicht, dass euch jemand einen Streich spielt. Diese Kiste hat ein Schloss, das nur ich und mein Freund Argur öffnen können. Die Hülle ist so stark, dass keine Axt und kein Hammer sie verletzen können, und die Runen auf dem Deckel sind älter als jede Magie. Es gibt keinen doppelten Boden oder dergleichen. Nur ein Ding liegt darin, dafür verbürge ich mich.“

„Nun gut, dann soll es so sein. In eurer Kiste, Meister Rotschild, liegt eine violette Clematis. Wunderbar ist sie anzusehen, doch fehlt ihr das Licht zum Leben. So wie allen Wesen das Leben fehlt, wenn sie in einer Hülle aus Metall oder Stein gefangen sind.“

Zuerst wunderte sich der Zwerg darüber, dass sie das Kästchen nicht in die Hand nahm. Er hatte erwartet, dass sie mit einem Stemmeisen, mit Feuer oder Säure versuchen würde, die Scharniere oder das Schloss zu brechen. Dass sie magische Formeln murmeln und Rituale durchführen wollte. Die schnelle Antwort weckte seinen Argwohn, doch der Triumph siegte über die Vorsicht.

Ragnor grinste breit. Er legte die Hände ans Schloss, öffnete den Mechanismus und blickte der Magierin erwartungsvoll in die Augen, als er den Deckel hob. Lichtstrahlen fielen in die Tiefe der Kiste, viele Gesichter beugten sich darüber und starrten hinein. Schüttelten den Kopf, ließen enttäuscht die Mundwinkel hängen und brummten unzufrieden. Der Boden der Kiste war kahl und leer – von einer Blume keine Spur.

Das triumphierende Lächeln wich an diesem Tage nicht mehr von Ragnors Lippen. Dass Elorie sich gleich danach verabschiedet hatte, vergrößerte den Sieg seiner mechanischen Fähigkeiten über die elfische Hexerei noch. Die Magierin hatte sich offenbar ob ihrer eigenen Unzulänglichkeit in einer finsteren Ecke verkrochen. Ein Grund mehr, den heutigen Abend mit Argur und seinen Schülern in der Taverne zu feiern. Bis in die frühen Morgenstunden flossen Bier und Met, Geschichten voll Ruhm und Ehre erzählten von mächtigen Zwergen, die ihr Volk über alle anderen Rassen erhoben.

Argur Weißauge erhob sich, Zwerg und Bettgestell ächzten in trautem Einklang. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Als er sah, wie spät es war, brummte er missmutig und schickte sich an, in seine Robe zu schlüpfen. Argurs Erinnerung kehrte zurück. Die rote Hexe, der gestrige Abend, das Lächeln des Meisters. Der Gedanke an den Sieg seines Freundes wärmte sein Herz. Sicher hatte sich die Geschichte schon herumgesprochen und zahllose Angehörige des kleinen Volkes würden ihren Helden einmal mehr feiern.

Vor dem Haus des Erfinders hatte sich eine ansehnliche Zwergentraube gebildet. Es wurde geschubst und gedrängelt, denn durch die Tür passte nur jeweils einer hinein. Das übliche Getuschel, das mit Ansammlungen von Völkern aller Art einhergeht, war ebenso zu hören wie Sprechgesänge und Spottlieder auf die hochnäsigen Elfen. Durch die erhitzte Stimmung ließ sich der Platz vor dem Haus keinesfalls leichter überblicken. Und wie viele schon im Haus waren, wüsste Argur nicht zu sagen. Eines der Fenster stand jedenfalls offen und der Ratsherr, ein untersetzter Mann mit hoher Mütze, rief mit hochrotem Kopf einige Worte hinaus.

Der Priester lief zur Hinterseite des Anwesens. Dort lag ein kleiner Garten mit dampfbetriebenem Springbrunnen und einigen Spielereien, die den Erfindungsgeist des Meisters entsprungen waren. Immer wieder musste er sich wundern, wie sein Freund auf derlei Ideen kam, doch heute eilte er an alldem vorbei. Das Verhalten der Menge war typisch für grobschlächtige, ungehobelte Bergleute – sie spürten nicht den Hauch von Ungewissheit, der in der Luft lag. Argur wusste es besser. Ein dumpfes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt, seine Göttin Levonar schien zu leiden.

Im Hause angekommen stürmte Weißauge zum Raum, aus dem am meisten Geschrei ertönte. Die letzten paar Schritte schlug und drängte er sich durch die Menge, die den Korridor verstopfte. Mehr schlecht als recht versuchte man, ihm Platz zu machen, denn er war als Freund des Hauses bekannt und einem ehrwürdigen Priester begegnete man mit Hochachtung, vor allem wenn er sich derart im Aufruhr befand wie Argur weißauge.

Das Bild, das sich ihm bot, als er endlich Rotschilds Werkstatt erreichte, ließ ihn zurückweichen. Stumm fasste er sich an die Stirn. Sank nieder auf die Knie, starrte gen Boden. Er erinnerte sich an seinen letzten Besuch in diesem Raum – an den gestrigen Abend. Elorie Vile hatte sich kurz verabschiedet, Meister Rotschild den Mechanismus der Kiste in Gang gesetzt und den Deckel verschlossen, so dass ihn nur jene beiden öffnen konnten, die den Schlüssel dazu besaßen – Ragnor Rotschild und Argur Weißauge.

Noch immer war der Mechanismus verschlossen. Doch daumendicke Äste hatten den Deckel aufgebogen, waren durch den Zwischenraum herausgedrungen und hatten sich gar durch die Mithrilwände des Kästchens gebohrt. Die Wurzel der Pflanze lag im Inneren des Kästchens, in dem nach Elories Aussage kein Leben möglich war. Sie breiteten sich sternförmig auf der Tischplatte aus, schlängelten sich um die Tischbeine zu Boden, verzweigten sich in alle Richtungen und erklommen nun schon die Wände. Wenn man achtgab, konnte man ihnen beim Wachsen zusehen. Längst hatten sich die ersten Blätter ausgeprägt und während Argur wie von Sinnen in den Raum starrte, bildete sich die erste Knospe aus, sprang nach einigen Augenblicken auf und violette Clematisblüten tauchten den finsteren Raum in ein freundliches Licht.

Elorie Vile war am Vortag bereits abgereist, man sah sie jahrelang nicht mehr in der Stadt. Von Ragnor Rotschild fehlte jede Spur. Die riesige Pflanze hörte zu wachsen auf, sobald sie ans Licht gelangte. Dann hackten die Zwerge die Ranken ab, sägten die Zweige auseinander und drangen bis zur Kiste vor. Mit großer Gewalt stemmten sie den verbogenen, durchlöcherten Deckel auf und fanden darin ein Zwergenherz, das von Rinde überzogen war.

Heute in Evergore:

Golarn, 19. Oiletwei im Jahre 774

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